Die Zahlen hat Felix Klein sicherlich schon im Gepäck, als er bei der Auftaktveranstaltung der Aktionswoche für Frieden und gegen Antisemitismus spricht. Veröffentlicht werden sie erst am Tag darauf, bei einer Pressekonferenz des Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung zusammen mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Seit den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober 2023 sei es laut Bundeskriminalamt in Deutschland zu 2.249 antisemitisch motivierten Straftaten gekommen. Dabei habe es im gesamten Jahr 2023 insgesamt 2.300 solcher Straftaten gegeben.
Aus Verantwortung handeln
Die Schülerinnen und Schüler ab der neunten Jahrgangsstufe, die in der Schulmensa seinen Vortrag hören, fordert der Antisemitismus-Beauftragte daher dazu auf, sich an den derzeit überall in der Republik durchgeführten Demonstrationen gegen rechtsradikale Strömungen in der Gesellschaft zu beteiligen. „Demokratie ist schon gefährdet, wenn man sie als selbstverständlich begreift“, betont Felix Klein. Darüber hinaus sei es aber auch wichtig, sich mit dem Thema Diskriminierung auseinanderzusetzen, denn dies stelle bereits den ersten Schritt zur Lösung des Problems dar. In diesem Zusammenhang zitiert der Diplomat den inzwischen verstorbenen Shoah-Überlebenden und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel: „Ihr habt keine Schuld an dem, was damals geschehen ist. Aber ihr habt die Verantwortung, was Ihr heute aus der Erinnerung macht“.
Beispielhaftes Engagement
Vorbildlich ist da das Beispiel von Samuel Süs, der im Rahmen einer besonderen Lernleistung das Programm der Aktionswoche gestaltet hat. „Wir hätten nicht gedacht, dass Du so viele unterschiedliche Beiträge für die Woche organisierst“, lobt Schulleiter Uwe Brecher. So beginnt in dieser Zeit jeder Morgen an der Schule mit einer Mahnwache für den Frieden. Außerdem nimmt die Schule an der Gedenkstunde im hessischen Landtag teil, die für die Opfer des Nationalsozialismus abgehalten wird. In einer Wanderausstellung der Kunstpädagogin Bernadette Boos kann die Schulgemeinschaft Überlebende des Holocaust kennenlernen. Gezeigt werden im Graffiti-Stil gestaltete Porträts, die um Kurzbiografien der Porträtierten ergänzt werden. Neben dem Antisemitismus-Beauftragten konnte Samuel Süs weitere namhafte Referenten gewinnen. Zum einen berichtet Henri Juda von seiner Familie, dessen beide Großmütter in der Shoah ermordet worden sind, dessen Mutter aber Auschwitz überlebt hat und dessen Vater sich in Luxemburg verstecken konnte. Reiner Engelmann wiederum liest aus seinem Buch über Wilhelm Brasse, der als gelernter Fotograf das grauenhafte Geschehen in Auschwitz dokumentieren musste. Darüber hinaus arbeitet einschließlich der Grundstufe jeder Jahrgang eine Woche lang dem jeweiligen Alter entsprechend zum Thema Frieden.
Jüdisches Leben gehört mitten in die Gesellschaft
Im Anschluss an den Vortrag stellen die Teilnehmer der Auftaktveranstaltung zahlreiche Fragen. Gleich mehrfach wird thematisiert, dass auch in den Reihen der Staatsdiener rechtsextremes Gedankengut herrsche. „Das ist in keiner Weise tolerierbar“, betont Felix Klein. Es sei wichtig, dass das Thema Antisemitismus in der Polizeiausbildung verankert sei und es sei auch wichtig, dass die Polizeikräfte, die für den Schutz von Synagogen eingesetzt würden, diese auch mal von innen sähen. Das deckt sich mit den Ansätzen der unter seiner Federführung erarbeiteten nationalen Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben. Eines der darin aufgeführten Handlungsfelder besteht aus der Sichtbarmachung jüdischen Lebens in Deutschland. „Je selbstverständlicher jüdisches Leben gezeigt wird, je größer ist die Akzeptanz“, ist Felix Klein überzeugt.
(Hendrik Jung)