Ganz behutsam widmet sich die 4-jährige Reem ihrer Puppe. Sie streicht ihr über den Kopf und richtet ihr das Kleidchen. Dabei hilft die 78-jährige Christa Rosar, die ihr auf dem Rollator gegenüber sitzt. Rosar wohnt im EVIM Seniorenzentrum am Europaring, während Reem mit zu den ersten Kindern gehört, die seit Ende September in der neuen Kita im Erdgeschoss betreut werden.
Alt und Jung unter einem Dach – das hat in Hessen Modellcharakter und ist am Europaring in Schwalbach am Taunus Wirklichkeit geworden. Ilka Müller, hatte vor etwa fünf Jahren in ihrer damaligen Funktion als Leiterin der EVIM Einrichtung das Projekt mit angeschoben. „Die Stadt Schwalbach hatte Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen und war von der Idee begeistert“, erinnert sich Müller, die heute als Prokuristin der EVIM Gemeinnützige Altenhilfe GmbH tätig ist. Sie ist durch einen Fernsehbeitrag über Japan auf eine intergenerative Einrichtung aufmerksam geworden und hatte sich mit ihrem Team Anregungen in einem Projekt in Karlsruhe geholt. Die Stadt Schwalbach hatte nach Abschluss der Vorbereitungen die EVIM Bildung gemeinnützige GmbH mit der Realisierung beauftragt und mit 220.000 Euro den größten Teil der Umbaukosten in Höhe von 270.000 Euro finanziert.
Aus dem Bereich der ehemaligen Tagepflege, die nicht ausgelastet war, wurde so auf 363 qm eine Kindertagesstätte für bis zu 50 Kinder im Alter von 3 Jahren bis zum Schuleintritt. Bürgermeisterin Christiane Augsburger bestätigte beim Pressetermin Anfang Oktober den wachsenden Bedarf. „Wir haben jetzt zehn Kitas und alle sind gut belegt“, so die Bürgermeisterin. Die neue Einrichtung habe mit dem Konzept ein Alleinstellungsmerkmal, so Augsburger. Sie könne allerdings auch eventuelle Vorbehalte von Seiten älterer Menschen verstehen, die sich fragten, ob das Miteinander unter einem Dach funktionieren könne. Für eine gute Anbahnung der Kontakte und das Miteinander der Generationen stehen nach ihren Worten ganz erfahrene Fachleute ein, wie die Kita-Leiterin Judith Piller-Hilmer. „Frau Hilmer hat viele Jahre in unseren Kindertagesstätten gearbeitet und ist hier genau an der richtigen Stelle“, freut sich die Rathaus-Chefin. Und auch Viktor Derr, der seit vielen Jahren im Seniorenzentrum tätig ist und als Einrichtungsleiter die Nachfolge von Ilka Müller angetreten hat. „Mit großer Umsicht und hoher Fachlichkeit hat er mit dafür gesorgt, dass der Umbau bei laufendem Betrieb so reibungslos ablaufen konnte,“ lobte Gerhard Kopplow, Geschäftsführer der EVIM Bildung. „Inzwischen hören wir auch von Interessenten, die genau deswegen hier einziehen möchten, weil es eine Kita gibt“, freut sich Derr über die Synergieeffekte.
Hilmer, die nach eigenen Worten „aus ganzem Herzen Schwalbacherin ist“, begeistert das Konzept. „Das spiegelt unser Leben in der Gesellschaft wider.“ Sie bestätigt, dass Alt und Jung in ihren Bedürfnissen sehr ähnlich sind. Sie spüre und sehe viel Interesse von Seiten der Senioren – über 20 Bewohner folgten der Einladung, sich die Einrichtung anzuschauen. Immer wieder erlebe sie, dass die älteren Menschen durch die Glastür der Kita winkten und Kontakt zu den Kindern suchten. Deshalb steht auch in jedem Kita-Raum ein seniorengerechter Stuhl, damit die älteren Besucher bequem sitzen können. So wie Waltraud Port, die sich so über die Kinder im Haus freut. „Da kommt Leben rein,“ sagt die 81-jährige Bewohnerin. Oder wie Christa Rosar, die das Miteinander sichtlich genießt und als „Lese-Oma“ liebend gern zur Verfügung stehen möchte. Da spielt auch die Sprachbarriere keine Rolle, um mit Reem aus Syrien in Kontakt zu kommen. Die beiden verstehen sich allein durch den Blick, innig und vertraut im Spiel vertieft. „Jeder Bewohner ist jederzeit willkommen“, sagt Judith Hilmer. Natürlich gibt es auch feste Angebote, wie Singe- oder Spiel- und Bastelrunden oder jahreszeitliche gemeinsame Feste. Das alles wird und soll wachsen, behutsam und mit großer Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Derr berichtet von der ältesten Bewohnerin, die mit 101 Jahren jeden Tag vorbeischaut und sich dann zufrieden in den Sessel zurückzieht.
Die neue Kita trifft auch bei den Eltern auf viel Interesse, berichtet Hilmer. Geschäftsführer Gerhard Kopplow bestätigt: „Wir sind inklusiv und international.“ Schon in wenigen Tagen wurden in Schwalbach 15 Betreuungsverträge abgeschlossen, täglich kommen neue Anfragen hinzu. Einen eigenen Namen hat die Kita noch nicht, das ist das nächste gemeinsame Projekt im Haus am Europaring in Schwalbach.
Foto (H.Nietner): Innig im Spiel vertieft - die vierjährige Reem und Christa Rosar, 78 Jahre alt. (2. und 3. v.l.)