"Es gibt ein Ausbluten des Fachkräftepersonals", sagte der Geschäftsführer der EVIM Behindertenhilfe in Wiesbaden, Björn Bätz, am Donnerstag bei einer Veranstaltung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen. Es habe in Hessen im Jahr 2020 nur noch 249 Absolventen der Heilerziehungspflege gegeben. Erzieherinnen und Erzieher wechselten im Gegensatz zu früher nicht mehr in die Behindertenarbeit.
Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an den Fachschulen für Heilerziehungspflege sinke bundesweit stetig, sagte die Liga-Referentin Andrea Braun. In Hessen mache eine überlange Ausbildungszeit den Beruf unattraktiv. Im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern müssten Interessenten vor der dreijährigen Ausbildung zusätzlich drei Jahre berufliche Vorerfahrung oder eine zweijährige Sozialassistenzausbildung absolviert haben. Sechs Jahre Ausbildung für einen Beruf mit einem Einstiegsgehalt von rund 3.100 Euro brutto im Monat seien zu lang.
Die Landesregierung solle flexible Ausbildungsmodelle einführen und die Kosten für die Ausbildung übernehmen, schlug Braun vor. Darüber hinaus brauche es eine landesweite Aktion zur Gewinnung von Fachkräften in der Behindertenarbeit. Der Liga-Vorsitzende, der hessische Diakonie-Chef Carsten Tag, wies auf die Folgen der durch die Bundesregierung angekündigten Kürzungen der Freiwilligendienste hin. Zwei Drittel der Freiwilligen ergriffen später einen sozialen Beruf. Diese Quelle des Nachwuchses würde stark beschnitten.
Ein weiteres Kernproblem der Eingliederung von Behinderten sei der Mangel an barrierefreiem Wohnraum, sagte Braun. Acht Millionen Menschen mit Behinderungen sowie 13,5 Millionen Seniorinnen und Senioren hätten im Jahr 2018 nur rund eine Million barrierefreie Wohnungen zur Verfügung gehabt. In Hessen finde nur jeder fünfte Beeinträchtigte einen angemessenen Wohnraum. Mehr barrierefreier Wohnraum müsse geschaffen werden.
Leiter von Behinderteneinrichtungen bekräftigten, dass sie den Übergang von Klienten in Ausbildung und Arbeitsmarkt förderten. Die Vermittlungen zu Arbeitgebern seien allerdings gering. Das Facettenwerk in Wiesbaden, das vor allem geistig eingeschränkte Klienten beschäftigt, vermittele von 670 ein bis zwei im Jahr, sagte der Vorstand Simeon Ries. Die EVIM Behindertenhilfe in Wiesbaden, die Werkstätten für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen betreibt, vermittele von 1.000 rund zehn im Jahr, sagte Geschäftsführer Bätz. Allerdings habe ein Fünftel der Klienten durch Praktika oder Beschäftigungsverhältnisse schon Kontakt mit dem Arbeitsmarkt gehabt.
Der Liga-Vorsitzende Tag wies darauf hin, dass ein Wechsel von Behinderten aus Werkstätten auf den Arbeitsmarkt eine umfangreiche Begleitung erfordere. Bätz forderte die öffentliche Finanzierung einer Begleitung von Klienten am Arbeitsplatz in der Anfangszeit, um das Beschäftigungsverhältnis zu stabilisieren. Auch wäre ein Budget nötig, um Klienten beim Übergang zu beruflichen Fachschulen zu begleiten. Dies sei bisher nicht möglich. (Jens Bayer-Gimm)