Lederweste mit vielen Aufnähern, auf dem Rücken ein großes Wappen, schwere Stiefel und Sturzhelm auf dem Kopf: So stellt man sich einen richtigen „Biker“ vor, und genauso sehen sie auch aus, die Männer und Frauen vom Wiesbaden Nassau Chapter. „Life Members“ sind sie, Mitglieder in einem Harley Davidson Club und Besitzer der amerikanischen Kult-Motorräder. Sie treffen sich regelmäßig in ihrer eigenen „Harley-Station“ in Wiesbaden-Delkenheim und starten auch immer wieder soziale Aktivitäten. Eine davon ist das regelmäßige Angebot von Ausfahrten für Bewohner der Wohnanlage Schlocker-Stiftung.
In der EVIM-Einrichtung in Hattersheim leben 52 Bewohner mit einer geistigen Behinderung. Seit 15 Jahren haben sie einmal im Jahr die Gelegenheit, auf einem der riesigen Motorräder mitzufahren. Und sie haben riesigen Spaß daran.
„Der Besuch der Harleys ist das Highlight des Jahres“, sagt Nicola Böhm, Leiterin der Einrichtung. Schon im Januar werde sie gefragt, ob „der Rudi“ schon einen Termin für die Ausfahrten genannt hat. Rudi, das ist Rudolf Gutte, Initiator und Motor der Kooperation mit der Schlocker-Stiftung. Über einen damaligen Mitarbeiter der Wohnanlage war der Kontakt entstanden.
„Daraus ist ein ganz normaler Kontakt entstanden“, sagt Rudi Gutte. Viele Biker kämen auch zum Einkaufen in die Bäckerei oder die Gärtnerei der Schlocker-Stiftung oder seien Gäste bei anderen Veranstaltungen und Festen in der Wohnanlage. Die Ausfahrten, die für die Bewohner ein besonderes Erlebnis sind, machen auch den Bikern Freude. „Es ist toll, anderen Menschen damit ein Erlebnis zu verschaffen. Eine wunderbare Erfahrung für uns.“
An diesem Juli-Samstag, der trotz drohender Gewitterwolken dann doch gutes Ausfahrtwetter bringt, stehen 26 Maschinen aufgereiht im Hof der Wohnanlage – chromblitzend und ein wenig einschüchternd. Nicht auf jeder kann jemand mitfahren, sind doch einige nur Einsitzer. Dafür sind die zweisitzigen Maschinen mit gut gepolsterten rückwärtigen Sitzen ausgestattet, auf denen nun jede und jeder, der eine Tour machen möchte, Platz nehmen darf. „Wir fahren so lange, bis jeder, der will, mitfahren konnte“, sagt Rudolf Gutte. Und manche fahren auch mehr als einmal.
Zum Beispiel André Hulverscheidt, der auch im Aufsteigen schon geübt ist. Andere brauchen etwas Hilfe, für die auf beiden Seiten der Maschine jemand bereitsteht. Aber jeder natürlich nur mit Kopfschutz, wie es vorgeschrieben ist. „Fast alle haben schon einen eigenen Helm“, berichtet Nicola Böhm. Geschenke von den Harley-Fahrern, die sich ab und an einen neuen Helm kaufen. Bei manch einem Bewohner hat der Kopfschutz einen Ehrenplatz im Regal und wird jedes Jahr zur Ausfahrt hervorgeholt.
Die 15. Ausfahrt wurde etwas größer gefeiert. Nach dem sonst auch üblichen Kaffee und Kuchen im Zelt auf der Wiese folgte anschließend noch ein Grillfest – mit Live- Musik von der Band des Harley-Chapters. Und wie bisher in jedem Jahr spielte auch das Wetter mit. „Nur einmal in 15 Jahren mussten wir die Ausfahrten wegen Dauerregen absagen“, erinnert sich Nicola Böhm.
Lieselotte Wendl