Emma (8 Monate) ist ein aufgewecktes Kind. Munter krabbelt sie auf dem weichen, bunten Teppich. Sie greift eine bunte Kugel und schiebt sie sacht über ein Ringellabyrinth. Ihre Juchzer zaubern ein Strahlen auf die Gesichter ihrer Eltern, Michelle und Gabriel. Mutter und Tochter sind zum Sommeranfang eingezogen und gehören zu den ersten Klienten im großzügigen Neubau am Sonnenhang. Der junge Vater besucht sie, so oft er kann, in einem der vier Appartements, die für Familien vorgesehen sind, die für das Selbstständigwerden bereits eine gute Perspektive entwickelt haben.
In dem Haus finden bis zu acht – zumeist sehr junge - Mütter/Väter mit ihrem Kind/ihren Kindern Aufnahme, die aus unterschiedlichen Gründen erhebliche Schwierigkeiten haben, die Herausforderungen der Verantwortung für sich selbst und ihr Kind/ihre Kinder zu bewältigen. Das können psychische Probleme, Erziehungsprobleme oder Trauerbewältigung sein, berichtet Nathalie Borchert. Sie ist neben Sven Schäfer eine der beiden Teamleitungen. Nachdenklich fügt sie hinzu: „Es ist nicht so einfach hierherzukommen.“ Zudem wird ein Platz frei gehalten, um eine In-Obhutnahme für drei Tage gewährleisten zu können.
Einzigartiges Konzept
Das Eltern-Kind-Haus bietet diesen jungen Familien und minderjährigen Schwangeren einen sicheren Ort und eine fachliche Expertise, die einzigartig ist. Zu dem multiprofessionellen, rund 20-köpfigen Team gehören ein Familientherapeut, eine Hebamme, eine heilpädagogische Fachkraft, Sozialarbeiter:innen und Sozialtherapeut:innen, eine Hauswirtschaftskraft und Praktikanten. Das Team ist rund-um-die-Uhr im Einsatz, „hier wird niemand alleingelassen“, fügt Nathalie Borchert hinzu. Die ideale personelle Ausstattung und die hervorragenden räumlichen Bedingungen sind aber nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal. Im Erdgeschoss befindet sich eine hauseigene Kinderkrippe. Jasmin Wienkenhöfer arbeitet in diesem Bereich. „Unsere Kinderbetreuung ermöglicht es den Müttern bzw. Vätern, weiter zur Schule zu gehen und schafft ihnen einfach auch mal Pausen und Freiräume für sich selbst“, sagt die Fachexpertin. Ihre Teamkollegin Diana Kretterk-Awater ist Hebamme und betreut derzeit intensiv zwei junge Schwangere. Sie ist von dem Konzept der Einrichtung zutiefst überzeugt. Bindung habe hier oberste Priorität. Dieser Prozess sieht zu Beginn eine sechs- bis achtwöchige Clearingphase vor, in der es darum geht, zunächst die eigenen Bedürfnisse und Wünsche kennenzulernen. Je nach Lebenssituation kann die Belegung zwischen wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren erfolgen. Besuche von Freunden und Angehörigen sind selbstverständlich möglich: „Wir sind ein offenes Haus für alle“, sagt Diana Kretterk-Awater und fügt hinzu: „Die Bedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten sind an diesem sicheren Ort einfach ideal.“ Dazu gehört auch die „absolute Akzeptanz in der Gemeinde“, wie Regionalleiter Patrick Schulze betont.
Zahlreiche Besucher haben die Möglichkeit genutzt, um bei Hausführungen sich über Konzept und Räumlichkeiten zu informieren. Interessiert erkundigte sich Bundestagsabgeordnete Ursula Groden-Kranich bei den Mitarbeitenden. Sie ist von dem „vielschichtigen Angebot und inklusivem Miteinander“ beeindruckt. Das einzigartige Konzept sei eine große Bereicherung, damit Kinder in ihren Familien gut aufwachsen können, ist sie überzeugt.
Das Haus, das vom Investor Fa. Vollgas Welzbachtal GmbH erbaut und an EVIM vermietet wurde, bietet viele Möglichkeiten, es weiter wohnlich zu gestalten. Die großflächige Photovoltaik-Anlage auf dem Dach erfüllt modernste Anforderungen. Und die weitläufige, herrliche Umgebung liegt dem Haus am Sonnenhang bereits ohnehin ‚zu Füßen‘.
„Mit offenen Armen erwartet“
Michelle und Gabriel fühlen sich nach eigenen Worten im Eltern-Kind-Haus wohl. „Man ist hier sehr frei“, sagt Michelle. Sie habe auch Zeit für sich, wenn das Kind betreut wird. Gabriel wohnt bei seiner Mutter. Per Zug, Bus oder Mitfahrt kommt er nach der Arbeit nach Appenheim. Er wechselt sich dann mit seiner Michelle ab, um sich um die kleine Emma zu kümmern. Nicht alle kommen schon so gut in der neuen Lebenssituation zurecht. Andere brauchen eine intensive und kontinuierliche Unterstützung und Anleitung. „Jeder Mensch, der zu uns kommt, wird mit offenen Armen erwartet“, sagt Patrick Schulze. „Entscheidend ist, dass die Eltern grundsätzlich bereit sind, mit ihren Kindern im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme mitzuarbeiten.“
Das postulierte „Niemand wird allein gelassen“ gilt auch für die finale Phase des Aufenthaltes, in der die jungen Familien entlassen und weiter beraten werden. Das kann zum Beispiel durch das Team oder die ambulanten Angebote der EVIM Jugendhilfe erfolgen, die dezentral an vielen Orten tätig ist.
von Heide Künanz
Foto (EVIM): Olav Muhl, stellvertretender Fachbereichsleiter, Nathalie Borchert, Sven Schäfer und Patrick Schulze am Eingangsbereich zum Eltern-Kind-Haus.