Das ist die Grundannahme beim neuen Stück der inklusiven Theatergruppe „Zeitlos“, die seit 25 Jahren besteht. EVIM und die Tanztherapeutin Katharina Weil unterstützen eine kleine, teils sehr langjährig aktive Gruppe, die großen Spaß am Theater hat. Meist sind es collageartige Szenen, die in mehreren Monaten gemeinsam erarbeitet werden. Alle Mitwirkenden sind daran beteiligt. Und aufgeführt werden die Stücke stets im thalhaus Wiesbaden, das barrierefreie Möglichkeiten bietet, denn einige der Spielenden sitzen im Rollstuhl. Das ist auch in diesem Jahr so: Am 15. und 16. September wird das Zeitlos-Stück unter dem Titel „Brücken und Worte gegen Mauern und Schweigen“ aufgeführt (jeweils um 20 Uhr).
Über sich hinaus wachsen
Es ist Teil der Kulturstrategie von EVIM: Menschen mit Beeinträchtigungen, aber auch Ältere und Junge, die betreut werden, können Theater spielen, Musik machen, Malen. Und all das ausdrücklich für Publikum, damit auch echte Erfolgserlebnisse entstehen. Das ist auch dieses Mal so. Im Wohnpflegehaus in der Johannes-Brahms-Straße trifft sich die Gruppe mit Katharina Weil und anderen Ehrenamtlichen einmal pro Woche. Mit dabei ist zum Beispiel Wenzel Friebe. Er sitzt im Rollstuhl, spielt aber auch in der Band „Ruhestörung“. „Ich genieße die Aufführungen und den Applaus“, sagt er. „Und ich mag es, mich mit Themen zu beschäftigen, die uns alle angehen, auch wenn sie nicht immer angenehm sind.“ Flink manövriert er seinen Rollstuhl im Probenraum umher.
Genau wie Agnes Tillmann. Die zierliche, kleine Frau sagt „Ich habe nie gedacht, dass ich jemals auf die Bühne gehe.“ In ihrer Szene im Stück hebt sie ein Fernglas an die Augen, um „Vögel“ zu beobachten. Vera Aehle stellt den Vogel dar, sie tanzt langsam mit einer Jacke, auf der weiße Federn befestigt sind. „Die Vögel fliegen in den Süden“, sagt Agnes Tillmann leise. „Wie das dort wohl ist?“ Und Matthias Damm kommt auf die Bühne und sagt: „Das ist also die blaue Welt. Wie wäre es denn mit einer friedlichen Welt? Das klappt ja sowieso nicht.“ Da mag er Recht haben. Aber darüber mit künstlerischen Mitteln zu spekulieren, das geht. „Die Frage nach dem Warum, das war unser Ausgangspunkt“, sagt Katharina Weil. Einfach „Warum?“ da kommen schon sehr viele Assoziationen.
„Brücken bauen, Schweigen brechen“
Alle Akteure und Akteurinnen können sich nach ihren eigenen individuellen Fähigkeiten einbringen. Es gefällt ihnen sehr. „Die Proben finde ich toll, denn dann bin ich nicht mehr allein“, meint Agnes Tillmann, die die ganze Zeit strahlt. „Ich stelle fest, dass ich mehr schaffe, als ich mir gedacht hatte.“ Selbstbewusstsein entsteht durch diese Kulturarbeit. Die Gruppe kümmert sich auch selbst um Kostüme und Bühnenbild. Der Hausmeister des Wohnhauses hat eine große Holzbrücke gebaut, die eine entscheidende Rolle im Stück spielt. Christine Malek, ebenfalls Rollstuhlfahrerin, wird von ihrem Vater gebracht. Auch er, der die Probe aufmerksam beobachtet, kann in einer kleinen Szene mitspielen. „Wir haben was zu sagen, und das machen wir über unser neues Stück deutlich“, meint Christine Malek. „Brücken bauen, Schweigen brechen. Der Titel gefällt mir schon sehr gut.“
Dabei finden die Schauspielenden schon, dass die Proben anstrengend sind. Wenzel Friebe kommt meist direkt nach einem Arbeitstag und muss sich da schon manchmal ziemlich motivieren. Aber auch er hat viel Spaß und freut sich auf die Aufführungen im stets ausverkauften Thalhaus, dessen Team von der Gruppe sehr geschätzt wird. Schon der Name der Gruppe, „Zeitlos“ ist ein Motto: Lebenszeit, Ruhezeit, Wartezeit, Zeit zum Aufbruch. Das ist in jedem Leben ein wichtiges Motiv. Und bedingt durch die ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen der Akteure, die eigentlich keine Rolle spielen, sondern zu Stärken werden, ist auch das Thema Zeit für sie ein wichtiges. Katharina Weil sorgt für empathische, wertschätzende Probenatmosphäre. Und gelacht wird selbstverständlich auch. (abp)