Als im Frühjahr auch für die vier Standorte der EVIM Reha-Werkstatt ein Betretungsverbot angeordnet wurde, hat man bei der EVIM Gemeinnützige Behindertenhilfe GmbH als Träger der Einrichtung dringenden Handlungsbedarf gesehen. „Wir haben uns gefragt, wie geht es Menschen mit psychischen Erkrankungen, wenn sie alleine zuhause sind“, verdeutlicht Stefan Berg, Leiter der EVIM Reha-Werkstatt. Innerhalb kürzester Zeit habe man deshalb dafür Sorge getragen, digitale Kommunikations- und Beteiligungsprozesse zu etablieren. „Es war uns wichtig, jeden Tag ein Angebot zu machen, das die Menschen motiviert aufzustehen und mit uns in Kontakt zu treten“, erläutert Simon Giller, Leiter des Bereichs Kursfabrik. Inzwischen besteht das Angebot bereits aus annähernd 200 arbeitsbegleitenden Online-Qualifizierungsangeboten sowie Kursen zur Persönlichkeitsentwicklung. Fast neunzig davon haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kursfabrik im Lern-Management-System nach dem vorhandenen Bedarf selbst erstellt. Etwa zu Computerprogrammen wie der Tabellenkalkulation Excel oder dem Bildbearbeitungsprogramm Affinity, aber auch Kurse wie das Einmaleins der Farbenlehre, in Qi GonG oder Yoga sowie Schulungen zu Themen wie Unfallversicherung oder Allergene. Bei anderen Lern-Programmen habe man auf das am Markt verfügbare Angebot zurückgegriffen. Sogar gemeinsames Kochen ist als Video-Konferenz über die Distanz möglich gewesen. Zwar nutzt ein gutes Drittel der Klientinnen und Klienten das Lern-Managementsystem nicht. Doch diese sind mit 33 Selbstlernheften ausgestattet worden, von denen ebenfalls fast die Hälfte durch die Kursfabrik selbst erstellt worden sind. Doch von den übrigen mehr als 280 Personen sind mittlerweile 844 Kursteilnahmen erfolgt. „Wir mussten nicht von Null anfangen, weil wir schon in der Vergangenheit nach Wegen gesucht haben, wie wir an den vier Standorten Bildung organisieren können, ohne dass die Leute durch die Gegend fahren müssen“, berichtet Stefan Berg. Schließlich seien die Klientinnen und Klienten teils lange unterwegs, wenn sie im Öffentlichen Personennahverkehr zwischen den Standorten in Wiesbaden, Idstein, Hattersheim und Oestrich-Winkel unterwegs gewesen sind. Deshalb habe man bereits im Februar 2018 in das Lern-Management-System investiert und hatte auch Anfang dieses Jahres glücklicherweise bereits in Headsets und Laptops investiert, als die Nachfrage während der Phase der strengen Kontaktbeschränkungen sprunghaft gestiegen ist.
Von Hilfesuchenden zu Helfenden
„Wir haben auch Klientinnen und Klienten, die nicht in der digitalen Welt zuhause sind“, weiß Stefan Berg. Deshalb habe man im Sommer aus der Not eine Tugend gemacht und knapp zehn Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter geschult, die seit August ihren Kolleginnen und Kollegen dabei zur Seite stehen, wenn es darum geht, sich in die Nutzung digitaler Angebote einzuarbeiten. Aktuell funktioniert das ganz unproblematisch, weil auch im Teil-Lockdown kein Betretungsverbot für die Reha-Werkstatt herrscht und man bei Fragen aus dem Schulungsraum schnell mal zur nächsten Lernbegleiterin oder dem nächsten Lernbegleiter gehen kann. „Die Hilfe wird auch gerne in Anspruch genommen. Das ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits ist es ein dankbarer Job, weil man auch mehr Kontakte mit einzelnen Kollegen im Haus hat. Andererseits wird man immer wieder mal aus der Arbeit in den Schulungsraum geholt“, berichtet Lernbegleiterin Bianca Meinke lachend. Es sei toll, dass sie etwas an die Kolleginnen und Kollegen weitergeben könne und auf diese Weise als Klientin der Werkstatt gleichzeitig auch zur Unterstützerin sein könne. „Die Leute, die wir für die Lernbegleitung ausgewählt haben, haben wir gezielt ausgesucht. Nicht nur nach ihren Fähigkeiten im Umgang mit dem Computer sondern auch danach, ob sie in der Lage sind, Menschen in Ruhe und mit Zuwendung etwas zu erklären“, betont Stefan Berg. Auf diese Weise wird auch das Team der Kursfabrik unterstützt, das allein während des Betretungsverbots fast 180 Beratungen in seinem virtuellen Büro absolviert hat. „Es ist toll zu sehen, dass das im Griff ist“, lobt Simon Giller die Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter.
Von zuhause aus mitarbeiten
Aufgrund ihrer gesundheitlichen Disposition sind auch heute noch acht Klientinnen und Klienten im Home Office für die Reha-Werkstatt tätig. Martin Eschner etwa arbeitet seit zehn Jahren für die Druckbar der Reha Werkstatt, tut dies jedoch seit gut einem halben Jahr von zuhause aus. Gerade ist er dabei, den Drucksatz für das neue Kursheft der Reha-Werkstatt zu bearbeiten. Auch er hat in diesem Jahr die Gelegenheit genutzt und über das Lern-Management-System seine Kenntnisse in Computerprogrammen für Textverarbeitung, Bildbearbeitung oder der Layout-Software InDesign aufgefrischt. Ihm komme diese Form des Wissenserwerbs und der Arbeit entgegen. „Ich fühle mich zuhause sicherer, die Arbeit ist ruhiger und hier hat außer mir sonst niemand Zugriff auf den Rechner“, erläutert Martin Eschner. Möglicherweise ist sein Beispiel ein Zukunftsmodell für die Reha-Werkstatt. „Das wird eine Diskussion sein, die wir in den nächsten Jahren führen müssen, ob Home Office ein Modell ist und wie weit die Umsetzung möglich wäre“, weiß Stefan Berg. Die technischen Voraussetzungen dafür, hat man sich bei der Reha-Werkstatt in diesem Jahr jedenfalls bereits geschaffen.
(von Hendrik Jung)
Foto (EVIM): Bianca Meinke und Thomas Kocikowski aus dem Arbeitsbereich EKOM sind nicht nur fit am PC, sondern unterstützen auch andere Klienten beim digitalen Lernen.