Die unbeschwerte Zeit endete für die heutige Pflegedienstleiterin jäh, als sie noch Teenager war und mit 19 Jahren glückliche Mutter wurde. Das Leben voller Träume, privat und beruflich, alles fühlte sich so gut und richtig an. „Nach der Geburt hatte ich meine Tochter einen Monat daheim“, sagt Jennifer Zöllner, „dann lebte sie noch fünf Monate in der Uniklinik in Frankfurt, da sie unheilbar krank war“. Heute kann sie über die Geschehnisse sprechen, auch wenn es Kraft kostet. Tag und Nacht war sie an ihrer Seite, bis die lebenserhaltende Maschine abgestellt wurde. „Meine Tochter lebt in unserer Erinnerung und im Herzen weiter.“ Jahr für Jahr feiert Jennifer Zöllner gemeinsam mit ihrer Familie und Freunden die Lebensereignisse am Grab. In diesem Jahr, besonders schön, den 18. Geburtstag ihrer Tochter.
Miteinander sprechen
Wie andere betroffene Eltern auch, machte sie die Erfahrung, dass es Mitmenschen sehr schwer fällt, mit dem Thema umzugehen. Viele wollten das Thema schnell abhaken und dann zur Normalität zurückgehen. Oder es wird ganz verschwiegen. „Das funktioniert aber nicht“, weiß sie aus eigenem Erleben. Nicht für alle, wie in ihrem Fall, sind zudem spezielle Trauergruppen oder Einzelgespräche mit Fachleuten geeignet. Oft habe sie sich gewünscht, von anderen angesprochen und gefragt zu werden, wie es ihr ginge. Und dass diese ihre ehrliche Antwort aushalten können. Auch in jener Zeit, als zwei Jahre zuvor ihr Bruder verstorben ist. Dankbar ist sie, im beruflichen Alltag eine große Offenheit ihr gegenüber zu spüren, sowohl bei der Einrichtungsleitung und ihren Kollegen, als auch bei den Bewohnern. In den Gesprächen habe sie erfahren, dass manche ähnliches erlebt haben und darüber Zeit ihres Lebens nicht sprechen durften. Andere hatten im Krieg und auf der Flucht Schreckliches erlebt.
Rituale können helfen
Umso mehr freute sie sich über die Bereitschaft der Bewohner und Mitarbeiter, bei der Vorbereitung des traditionellen Gedenkgottesdienstes für gestorbene Kinder in Frankfurt über einhundert Sterne zu basteln. In diesem Jahr gelingt es Jennifer Zöllner erstmals, die Veranstaltung mit vorzubereiten. „Der Gottesdienst war immer wichtig für mich“, sagt die 38jährige, auch wenn sie ihren Glauben an Gott „ein Stück weit“ verloren habe. Für sie gibt es ein Wiedersehen mit ihrer Tochter im Himmel, wenn ihre eigene Zeit auf Erden gekommen ist. Dankbar erinnert sie sich an die evangelische Klinikseelsorgerin, die ihr in der schweren Zeit beigestanden habe. Neben ihren Angehörigen, ihrem Lebenspartner, ihrem zweiten Kind und einem Freundeskreis, ist es auch ihr Beruf, der ihr half, mit der Trauer umzugehen. „Als ich damals Mama geworden bin, war ich gerade mittendrin in der Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin“, berichtet sie. Damals habe sie ein halbes Jahr ausgesetzt, um dann ihre Ausbildung abzuschließen. Für sie sei das eine enorme Hilfe gewesen, damit sie am Leben nicht verzweifeln würde.
Der Gedenkgottesdienst für gestorbene Kinder findet jährlich am 2. Sonntag im November statt. Dazu laden in Frankfurt die Evangelische und Katholische Klinikseelsorge, der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Frankfurt/Rhein-Main und die Initiative REGENBOGEN „Glücklose Schwangerschaft e.V. ein. Für jedes Kind kann individuell eine Kerze gestaltet werden. Jennifer Zöllner möchte darauf mit aufmerksam machen und andere mit einladen. Es sei für sie eine „Herzensangelegenheit“, damit Betroffene sich nicht weiter ausgeschlossen fühlen. Anderen verstehen zu geben, dass man mit ihnen fühle, sei unendlich wichtig. Auch wenn nur Betroffene den unendlichen Schmerz verstehen können. (hk)
Gedenkgottesdienst, Sonntag, 12. November 2023, 16 Uhr, Evangelische Heiliggeistkirche im Dominikanerkloster, Kurt-Schumacher-Straße 23, Frankfurt am Main