Anfang Mai sitzt die charmante Seniorin gesund und munter im Café des Seniorenzentrums Hochheim. Ihre wasserblauen Augen leuchten aus dem altersschönen Gesicht. Man hört ihr einfach gerne zu, wenn sie frisch drauflos erzählt, ohne nach Worten suchen zu müssen. Egal, wie kurz oder wie lang die Ereignisse zurückliegen. „Ich hatte Corona mit allen Symptomen“, berichtet sie gefasst. Es ging ihr so schlecht, dass sie Nahrung und alle Medikamente verweigerte. „Ich habe mir gewünscht zu sterben“, blickt sie nüchtern auf die Zeit zurück, als ihr Leben am seidenen Faden hing. Gabriele Berndt-Sartorius, die das Seniorenzentrum Hochheim leitet, kümmerte sich neben dem Pflegefachteam des Wohnbereiches voller Hingabe um sie – fachlich und menschlich. Sie machte der Seniorin in diesen vier schweren Wochen Mut, sagte ihr, dass sie hier noch gebraucht werde. Sie ermöglichte es, dass die geliebte Tochter in „voller Montur“ ihre Mutter besuchen konnte. Gemeinsam mit der Pflegedienstleiterin Joan Kreft und ihren Mitarbeiterinnen standen alle Frau Homann bei, um vier Wochen Quarantäne auszuhalten. All das trug dazu bei, den Lebenswillen der Seniorin zu stärken. Dora Homann sei, so berichtet die Einrichtungsleiterin, wie „Phönix aus der Asche“ wieder ins Leben zurückgekehrt.
Frau Homann weiß es zu schätzen, dass sie bei EVIM gut aufgehoben ist. Seit zwei Jahren lebt sie im Pflegeheim; davor hatte sie eine eigene Wohnung im benachbarten ServiceWohnen. „Alle geben sich so viel Mühe“, betont sie immer wieder. Erst kürzlich habe es auf dem Wohnbereich ein herrliches Seemannsfest gegeben, erzählt sie begeistert. Und auf den traditionellen Erdbeernachmittag mit leckeren Waffeln und frischer Sahne freut sie sich bereits jetzt.
Die Zeit der Pandemie habe sie nicht als schwer empfunden. „Ich fühle mich hier wohl, bin im Rollstuhl im Haus unterwegs und schaue aus dem Fenster.“ Mit ihrer langjährigen Bekannten spielt sie ab und an eine Runde Rummy Cup. Ihre beiden Kinder besuchen sie regelmäßig. Die Tochter bringt frische Wäsche und sorgt auch sonst dafür, dass es der Mutter an nichts mangelt.
Dankbar ist Dora Homann für ihr langes Leben mit allen Höhen und Tiefen. Ein Jahr nach Kriegsende kam sie mit einem Handwagen in Hochheim an. „Ich war 19“, sagt sie und kommt auf diese Zeit im Gespräch immer wieder zurück. Glücklich sei sie darüber, dass sie zeitlebens unabhängig war. Als Verwaltungsfachkraft bei einer Versicherung war sie mit ihrem Faible für Zahlen genau richtig. Alleinerziehend bewältigte sie alle Anforderungen, die das Leben stellte. Finanziell abgesichert durch den Verkauf des elterlichen Hauses schaut sie heute gelassen auf jeden neuen Tag. „Ich vermisse gar nichts“, lächelt sie altersweise und fügt pragmatisch und ohne eine Spur von Verbitterung hinzu, „ich bin schon glücklich, wenn ich mich jeden Morgen im Bad selbstständig zurechtmachen kann.“
Froh ist sie über ihre Kinder, die erfolgreich im Leben stehen und sich jetzt um sie kümmern. Ihre Enkelin ist sogar „Studienrätin“, darauf ist sie besonders stolz. Ob sie 100 Jahre alt werden möchte? Die Antwort kommt überraschend schnell: „Nein, das möchte ich nicht.“ Sie nehme das Leben, wie es kommt. Das habe mit ihren schlesischen Wurzeln zu tun.
Aber vielleicht würde sie doch etwas anders machen, meint sie nach kurzem Nachdenken. „Wenn ich gewusst hätte, wie alt ich werde, wäre ich noch nicht mit sechzig in Rente gegangen.“ Sie habe es geliebt, mit dem Auto nach Wiesbaden zu fahren und dort zur arbeiten. Da ist es wieder, das Leuchten in ihren wasserblauen Augen. (hk)