Das bedeutet: Sein Gegenüber möchte Teun als Mensch betrachtet wissen, bis zuletzt, mit allen Aspekten und Eigenschaften, die Menschen haben. „Sobald man eine echte Verbindung herstellt, verschwindet die Demenz und der Mensch kommt zum Vorschein.“
Filmpremiere im Caligari
Der junge Mann hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben und mit dem Regisseur Jonathan de Jong einen Dokumentarfilm gedreht, der jetzt auf Initiative von Torsten Anstädt im Wiesbadener Caligari Deutschlandpremiere hatte. Anstädt ist mit seinem „HumaQ-Institut“ unter anderem für die „Gute Stunde“ verantwortlich, ein erfolgreiches kulturelles digitales Angebot, an dem auch die EVIM Altenhilfe als einer der Kooperationspartner beteiligt ist. Er war auf Teun Toebes aufmerksam geworden und beschloss, ihn nach Wiesbaden zu holen. Präsentiert wurde der Abend auch unter Schirmherrschaft der Wiesbadener Alzheimer-Gesellschaft. Im Caligari war inklusive rotem Teppich alles für eine echte Filmpremiere ausgelegt und der junge Protagonist stellte bestens aufgelegt seinen Film vor.
Azubis eingeladen
EVIM hatte für seine Pflege-Azubis und weitere Interessierte einen großen Anteil Karten erworben, denn dieser Film versprach interessanten Input für den pflegerischen Alltag und einen spannenden Blick über den Tellerrand. Toebes und De Jong waren um die ganze Welt gereist, um in den unterschiedlichen Ländern einen Einblick über den Umgang mit Demenzkranken zu erhalten. Im Pflegeheim in Utrecht, wo Toebes mit 21 Jahren eingezogen ist, begann die Geschichte und führte über Belgien, die Niederlande, Dänemark, Moldawien, Norwegen bis nach Südafrika, die USA und Südkorea. Überall gibt es immer mehr Ältere und deswegen steigt auch überall der Anteil der demenziell Erkrankten. Ganz unterschiedliche Projekte und Häuser hat Toebes besucht, oft dort auch mehrere Tage logiert und überraschende Einsichten gewonnen. Seine Mitbewohner wurden zu „lieben Nachbarn“, mit denen er gemeinsam aß, spielte, Fußball guckte, spazierenging und tanzte. Er sprach aber auch mit Menschen, die ihre erkrankten Familienmitglieder zu Hause betreuen: In Südafrika ist es aus unterschiedlichen Gründen selbstverständlich, dass die Familie diese Rolle übernimmt. In Südkorea hingegen wird von politischer Seite auf Prävention geachtet, Risikogruppen können – oder müssen sogar – an Präventivprogrammen teilnehmen. In Moldawien leben die Erkrankten in einer psychiatrischen Klinik in Mehrbettzimmern, aber sogar dort findet Toebes Positives, auch hier möchte er den Leuten zuhören und ihnen ohne Vorurteile begegnen.
System müsste sich ändern
Der offene, sympathische Lockenkopf schafft es überall, die Menschen für sich zu gewinnen. Das System müsse sich ändern, ist er überzeugt. Der Film sei kein Plädoyer für mehr Geld, das in die Pflege gesteckt werden solle, sondern für mehr Menschlichkeit. „Zuhören, das war in allen Ländern möglich“, sagte Teun Toebes bei der Diskussion nach dem Film, vor dem eine Vertreterin des Hessischen Sozialministeriums sowie die Wiesbadener Sozialdezernentin Patricia Becher die Gäste begrüßt hatten. Und: „Wie wir als Gesellschaft auf die Erkrankten sehen – das lässt sich doch ganz einfach verändern.“ Sein Leitmotiv sei die Menschlichkeit. Klingt einfach, sah auf der Leinwand fast paradiesisch aus.
Nicht uneingeschränkt übertragbar
Dass sich das nicht eins zu eins in den deutschen Pflegealltag übertragen lässt, wurde bei einer anschließenden Gesprächsrunde mit EVIM-Azubis und Ausbildungsreferentin Andrea Kristionat deutlich. „Ich habe schon einiges an Inspiration mitgenommen wie das tolle Schaukelbett, das in einem Pflegeheim zu sehen war, oder die südkoreanische Fünf-Finger-Präventionstheorie“, sagte Giuliano De Propris, Azubi im Katharinenstift. Dass ständig an neuen Möglichkeiten in der Pflege geforscht würde, zum Beispiel an der Überwindung der Pflegestufen-Kategorien, berichtete Azubi Alexander Schmidt. Viele Forschungsprojekte würden auch in den EVIM Einrichtungen durchgeführt. Aber vieles aus dem Film sei im Alltag unrealistisch, schon allein durch den Fachkräftemangel, der es gar nicht möglich mache, so viel Zeit auf das Zuhören zu verwenden, auch wenn dies natürlich wünschenswert wäre. Auch Dokumentationspflichten fordern zeitlichen Tribut. Und das Plädoyer von Toebes, lieber mehr Risiken zuzulassen zugunsten der individuellen Freiheit sei auch nicht ohne Weiteres umsetzbar. Man habe eine enorme Verantwortung für alle Beteiligten.
Möglichkeiten und Grenzen aufgezeigt
Allein dass jemand sich in einer Einrichtung einmietet, sei in Deutschland nicht vorstellbar, meinte Andrea Kristionat – aufgrund der Pflegesätze könne das niemand so einfach bezahlen. Azubi Iliana Boura stammt aus Griechenland und berichtete, auch dort würden Demenzkranke eher in der Familie gepflegt. Das sei so lange eine gute Lösung, wie die Angehörigen nicht überfordert sind. Der Film, da waren sich die fachkundigen Zuschauer einig, zeigte sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen auf. Menschlichkeit als oberstes Prinzip: Darum bemühen sich eigentlich alle Pflegenden, die die ihnen Anvertrauten als individuelle Charaktere mit eigenen Vorlieben, Wünschen und auch Freiheiten sehen. Der berufliche Alltag mit enorm viel Bürokratie lässt sie dabei aber oft an Grenzen kommen. Toebes‘ Buch ließen sie sich gerne signieren, der bestens gelaunte Aktivist schrieb sehr gerne ganz persönliche Widmungen hinein. (Text: abp, Fotos: evim)