„Damit sind nicht nur konstante Führungspräsenz sondern auch Stabilität und Kontinuität in der Arbeit gewährleistet“, sagt Jörg Wiegand, EVIM Vorstand über den Wechsel an der Spitze der Altenhilfe. Er und sein Vorstandskollege Matthias Loyal dankten dem scheidenden Geschäftsführer für seinen enormen und erfolgreichen Einsatz, mit dem er als gefragter Fachexperte die Entwicklung der Altenhilfe aus diakonischer Überzeugung und bestens vernetzt geführt und gestaltet hat. Die Geschäftsführenden sicherten mit ihrem breiten Erfahrungsschatz und fachlicher Expertise eine hohe Entscheidungsqualität in einer Zeit, in der die Altenpflege vor vielfältigen Herausforderungen steht.
Im Interview für EVIM berichten beide Geschäftsführenden – Frank Kadereit im Rückblick auf ein Berufsleben, das von enormen Veränderungen in der Altenhilfe geprägt war - und Ilka Müller über ihre Erfahrungen, Ziele und neue Herausforderungen.
Was hatte Sie als jungen Menschen dazu bewogen, in die Altenpflege zu gehen?
Frank Kadereit: Nach dem Abitur musste ich meinen Zivildienst in einem Pflegeheim eines privaten Trägers leisten. Die Arbeit mit den Menschen war eine bereichernde und schöne Erfahrung – die Arbeitskultur dort jedoch überhaupt nicht. Als Zivi beschwerte ich mich bei der Heimaufsicht und bekam tatsächlich Recht (schmunzelt). Das hat mir gezeigt: Es geht besser. Das war der Wendepunkt, an dem ich meine Zukunftspläne änderte. Statt Wirtschaftswissenschaften zu studieren, entschied ich mich für Pädagogik mit dem damals neuen Schwerpunkt Sozialgeragogik und Gerontologie.
Wie kamen Sie zur Diakonie?
Frank Kadereit: Mein Einstieg erfolgte über meinen ersten Job als Pflegefachkraft in Volmarstein. Kurz darauf bewarb ich mich auf eine Stelle als Heimleiterassistent beim Hessischen Landesverein für Innere Mission. Dort wurde ich Einrichtungsleiter und später dann Geschäftsführer.
Seit 2014 waren Sie bei EVIM an der Spitze der Altenhilfe. Welche externen Faktoren haben Ihre Amtszeit besonders geprägt?
Frank Kadereit: Es waren im Wesentlichen drei: Erstens die Diskrepanz zwischen den steigenden Anforderungen in der Pflege und der unzureichenden Personalausstattung – ein grundlegendes Problem, das bis heute ungelöst ist. Zweitens die Corona-Pandemie und ihre Nachwirkungen. Drittens die fehlende Reformbereitschaft der Politik angesichts der Herausforderungen in der Pflege.
Wie sind Sie diesen Herausforderungen begegnet?
Frank Kadereit: Beim Thema Personalausstattung und Anforderungen haben wir uns auf harte Entgeltverhandlungen eingelassen, um die notwendige Finanzierung sicherzustellen. In einigen unserer Einrichtungen konnten wir sogar bessere Personalschlüssel durchsetzen. Zudem ist EVIM ein attraktiver Arbeitgeber, der Menschen für die Altenhilfe gewinnen kann.
Was macht EVIM als Arbeitgeber besonders?
Frank Kadereit: Unser Anspruch ist es, gute Pflege zu leisten. Wir sehen unsere Mitarbeitenden als individuelle Persönlichkeiten, nehmen sie ernst und hören ihnen zu. Gemeinsam suchen wir nach Lösungen und bemühen uns, die Arbeitsbedingungen stetig zu verbessern – soweit es in unserem Rahmen möglich ist. Und: Trotz aller Belastungen in der Pflege haben wir uns unseren Humor bewahrt (lacht).
Sie hatten die Corona-Zeit angesprochen. Ist das Kapitel abgeschlossen?
Frank Kadereit: Nein, das prägt uns weiterhin. Diese Zeit hat uns allen viel abverlangt, und die Folgen sind noch spürbar. Die Krankenstände waren nicht nur während Corona hoch, sondern auch danach. Es war eine Zeit extremer Belastungen für alle. Obwohl Corona offiziell am 1. Juli 2022 für beendet erklärt wurde, war es noch lange nicht vorbei. Das verlangt eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung.
Welche Erkenntnis haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Frank Kadereit: Wir mussten Entscheidungen treffen und Regelungen umsetzen, die sich später als nicht optimal erwiesen. Dennoch haben wir stets versucht, Angehörigen Zugang zu ermöglichen, damit niemand allein sterben musste. Solche Momente kann man nicht vergessen.
Sie haben auch die Reformlosigkeit in der Politik angesprochen. Wie gehen Sie damit um?
Frank Kadereit: Wir mussten reagieren. Ein Weg war, Plätze abzubauen, um unseren Anspruch an Qualität und Wirtschaftlichkeit zu wahren. Bisher haben wir 170 Plätze reduziert. Zum Vergleich: In Hessen sind 62 Prozent der Pflegeeinrichtungen nicht voll belegt, in Baden-Württemberg liegt der Wert bei 55 Prozent. Zudem haben wir Angebote wie die solitäre Kurzzeitpflege und besondere Betreuungen für demenziell erkrankte Bewohner reduziert.
Viele Träger schließen Einrichtungen. Wie hat es EVIM geschafft, dies zu vermeiden?
Frank Kadereit: Das war nur durch sehr intensive Verhandlungen über Entgelte möglich. Der Pflegenotstand ist seit Jahren absehbar, aber grundlegende Reformen fehlen. Es mangelt am politischen Willen.
Welche Weichenstellungen sind Ihrer Meinung nach dringend nötig?
Frank Kadereit: Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, um Pflegende länger im Beruf zu halten. Eine gesicherte Refinanzierung der Kosten ist unverzichtbar. Die Anforderungen in der Pflege müssen mit der Personalausstattung einhergehen. Und alternative Versorgungsformen wie die Quartierspflege müssen finanziell unterstützt werden.
EVIM hat hier bereits Erfahrungen gesammelt. Ist das ein Modell für die Zukunft?
Frank Kadereit: Ja, wenn es entsprechend refinanziert wird. Derzeit gibt es nur zwei Versorgungsoptionen: ambulant oder stationär. Unsere Erfahrungen in Quartiersprojekten zeigen, dass die Menschen dort länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können und der Aufenthalt in der stationären Pflege kürzer wird.
Was bedeutet das konkret?
Frank Kadereit: Die Quartierspflege ermöglicht es, dass Menschen länger selbstbestimmt zu Hause leben können. Das zeigt: Es gibt Alternativen zu den klassischen Modellen.
Was war Ihre wichtigste Erfahrung aus Ihrem Berufsleben?
Frank Kadereit: Die Arbeit in der Pflege ist zutiefst erfüllend. Sie bietet mehr als ein Gehalt – nämlich echte, intensive, wertvolle Begegnungen mit Menschen. Leider war die politische Aufmerksamkeit für den sich anbahnenden Pflegenotstand lange Zeit viel zu gering.
Wem möchten Sie danken?
Frank Kadereit: Ich danke unseren Mitarbeitenden für ihren großartigen Einsatz, dem EVIM-Vorstand für die stete Unterstützung und der Heimaufsicht in Wiesbaden, die uns geholfen hat, in einigen Einrichtungen Verbesserungen umzusetzen.
Mit Ilka Müller übernimmt Ihre langjährige Prokuristin die Geschäftsführung. Mit welchem Gefühl übergeben Sie das Amt?
Frank Kadereit: Mit einem sehr guten Gefühl. Frau Müller ist eine exzellente Kollegin, die ich außerordentlich schätze. Ich bin dankbar, dass wir die Übergabe intensiv vorbereiten konnten.
Worauf freuen Sie sich im Ruhestand?
Frank Kadereit: Ich freue mich darauf, meinen eigenen Rhythmus zu leben, Neues zu lernen und die Natur an meinem neuen Wohnort im schönen Schwarzwald mit meiner Frau zu genießen.
Was möchten Sie noch lernen?
Frank Kadereit: Ein neues Musikinstrument, vielleicht wieder Keyboard spielen. Oder ein Studium beginnen.
Zum Abschluss: Wie möchten Sie selbst im Alter leben?
Frank Kadereit: Am liebsten in einem Quartier, eingebunden in eine Gemeinschaft – bis zuletzt.
Frau Müller, Sie sind Pflegeexpertin, Diplom-Pflegewirtin, verfügen über umfangreiche Managementerfahrung und kennen EVIM seit 2002. Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?
Ilka Müller: Mein Wunsch, mich beruflich weiterzuentwickeln und Führungsverantwortung zu übernehmen, hat mich immer motiviert. EVIM hat mir ideale Voraussetzungen geboten, um Wissen zu erweitern und praktische Erfahrungen zu sammeln. 2015 habe ich mich nach sorgfältiger Überlegung entschieden, das Angebot von Frank Kadereit anzunehmen und von meiner Position als Einrichtungsleiterin in die Geschäftsstelle zu wechseln. In meiner Funktion als Referentin Pflege und zentrales Qualitätsmanagement verantwortete ich bald darauf auch die Prokura in der Altenhilfe.
Nach fast 23 Jahren im Unternehmen stehen Sie nun an der Spitze der Altenhilfe. Fiel Ihnen die Entscheidung leicht?
Ilka Müller: Ich habe großen Respekt vor dieser Aufgabe und bin mir sicher, dass ich sie ausfüllen kann – und ich freue mich darauf. Für das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird, bin ich dem Vorstand sehr dankbar. Es ist großartig, bei EVIM so wachsen zu dürfen.
Worauf freuen Sie sich in Ihrer neuen Funktion am meisten?
Ilka Müller: Ich habe bereits begonnen, mit den Führungskräften ein gemeinsames Verständnis von guter Führung zu entwickeln. Das ist für mich eine wichtige Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Auch wenn die Rahmenbedingungen in der Altenhilfe herausfordernd sind, sehe ich positiv in die Zukunft. Zu wissen, dass ich auf unsere gemeinsame Stärke und das Vertrauen innerhalb unseres Teams bauen kann, motiviert mich sehr. Unser Slogan „Gemeinsam eins“ beschreibt diesen Zusammenhalt perfekt.
Was bedeutet „Gemeinsam eins“ für Sie persönlich?
Ilka Müller: EVIM als großes diakonisches Unternehmen hat eine starke Stimme in der sozialen Arbeit, und ich sehe es als unsere Aufgabe, diese auch politisch geltend zu machen. Es geht darum, für eine gerechtere und einheitliche Finanzierungsstruktur einzutreten und die Gleichwertigkeit sozialer Arbeit zu fördern – unabhängig davon, ob es um junge oder ältere Menschen, mit oder ohne Beeinträchtigung geht.
Welche Herausforderungen sehen Sie in der Altenhilfe?
Ilka Müller: Die gesetzlichen Veränderungen erhöhen die Risiken auf der Seite der Leistungserbringer und machen die Finanzierung unsicher. Dadurch werden Pflegeplätze abgebaut, obwohl der Bedarf weiter steigt. Diese Entwicklung verschärft den Pflegenotstand – eine Herausforderung, der wir uns als Gesellschaft mit Nachdruck stellen müssen.
Was können Sie angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingungen bewirken?
Ilka Müller: Wir konzentrieren uns auf unsere Stärken: die hohe Qualität unserer Arbeit. Wir haben uns über die Jahre einen sehr guten Ruf erarbeitet, und wir werden alles daran setzen, diesen zu halten und auszubauen.
Was schätzen Sie persönlich an EVIM?
Ilka Müller: EVIM bietet enorm viele Möglichkeiten. Meine berufliche Karriere – von der Wohnbereichsleitung, über die Pflegedienstleitung, Einrichtungsleitung bis hin zur Prokuristin und Geschäftsführerin - ist der beste Beweis dafür. Hier kann man sich fachlich und persönlich weiterentwickeln, mehr Verantwortung übernehmen und eigene Ideen einbringen – und das alles mit Rückendeckung des Vorstands.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Ilka Müller: (lacht) Ja, gerne. Als Einrichtungsleiterin hatte ich den Vorstand während eines Führungskräftetreffens auf die Idee einer Kita im Seniorenzentrum angesprochen. Dieses intergenerative Projekt auf den Weg zu bringen, war eine großartige Erfahrung. Es ist bis heute toll zu sehen, wie gut das Miteinander von Jung und Alt unter dem gemeinsamen Dach von EVIM funktioniert und wie bereichernd es ist.
Was gibt Ihnen neben Ihrem beruflichen Engagement Kraft?
Ilka Müller: Meine Familie ist mein Anker. Zeit mit ihr zu verbringen, gemeinsam etwas zu unternehmen und füreinander da zu sein – das ist für mich wertvoll und hilft mir, Energie zu tanken.
Frau Müller, Herr Kadereit, vielen Dank für das Gespräch! (hk)