Das hellblaue Haus mit markantem Dachstuhl ist ein Hingucker. Schon von außen macht es neugierig, was sich hinter der „Alten Schule“ verbirgt, wie auf der Fassade zu lesen ist. Klaus Friedrich, Fachbereichsleiter, ist mit dem neuen Standort sehr zufrieden. Das vorherige Domizil der Intensivgruppe auf dem Marienhof musste aufgegeben werden, da die frühzeitigen Verhandlungen über die Verlängerung des Mietvertrages oder den Kauf der Immobilie scheiterten. „Die Suche nach einem geeigneten Grundstück war äußerst schwierig und dauerte sehr lange“, erinnert er sich. Daher war man mehr als glücklich, als sich die Gelegenheit bot, die „Alte Schule“ - eine Bed&Breakfast-Pension - zu erwerben. Die Bedingungen für die intensive Betreuung von Jungen, die aus unterschiedlichen Gründen große Schwierigkeiten haben, in ihrem jungen Leben zurecht zu kommen, sind hier ideal.
Das Mitwohnkonzept ermöglicht ein intensives Arbeiten
Das bestätigt auch Verena Kolletzki, die seit anderthalb Jahren in der vormals bei Wederath beheimateten Intensivgruppe, arbeitet. Mit ihr ist erstmals eine Betreuerin in diesem besondern Angebot dabei. „Als ich die Stellenanzeige gelesen habe, war ich sofort von dem Mitwohnkonzept begeistert“, erinnert sie sich. In der Praxis bedeutet dies, dass zwei Betreuende jeweils sieben Tage in der Einrichtung leben, unterstützt von einer Tageskraft, einem Praktikanten und ab Oktober auch von einer Hauswirtschaftskraft. „Dieser besondere Ansatz bietet ein intensives Arbeiten und viele Gestaltungsmöglichkeiten“, ist die 33jährige Erzieherin überzeugt. Die gelernte Tischlerin hatte als Kind selbst Freunde, die „im Heim“ waren. Deren Betreuer haben sie stark beeindruckt. Dass sie selbst einmal studieren würde, hätte sie als Jugendliche nie geglaubt, berichtet sie lachend. Als Frau im diesem Angebot zu arbeiten, sei in vielerlei Hinsicht bereichernd. Zum Beispiel werden Rollenklischees hinterfragt, wenn sie als „handwerklicher Allrounder“ den Jungs etwas beibringen kann. Andererseits sorgt sie gerne mit dafür, im Haus eine wohnliche Atmosphäre zu schaffen. Dazu gehören die Blumendeko auf den Tischen genauso wie Sprüche im Haus, die Werte vermitteln. In allem, so berichtet sie begeistert, stehen die Kollegen hinter dem Konzept und tragen es mit. Das mache das kollegiale Miteinander und die fachliche Arbeit so besonders. „Jeder hat hier die Möglichkeit, seine Fähigkeiten einzubringen.“ Für ihren Kollegen Thomas Wegmann, ausgebildeter Erzieher und Mediator, sind das insbesondere Sport und Musik. Er habe deshalb perspektivisch vor, einen Probenraum zu schaffen.
Beim Tag der offenen Tür führt er die Besucher über die große Wiese, wo die Tiere, die von der Wohngruppe versorgt werden, leben, darunter rund 30 prächtige Hühner und mehrere Ziegen. Dass die Tiere hier ein sicheres Areal haben, ist zahlreichen Spender:innen zu verdanken, die die Umzäunung ermöglicht haben. Die Hühner fühlen sich offensichtlich 'pudelwohl' und legen so reichlich Eier, dass die Anwohner davon mit profitieren können. Interessiert erkundigt sich bei ihm Jutta Blatzheim-Roegler, Stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen über die fachliche Arbeit. „Für die Alte Schule ist es das passende Projekt“, sagt sie erfreut und auch auf dem Hintergrund, das vor Zeiten eine rechte Partei versucht hatte, hier Fuß zu fassen. Das Dorf, so sagt sie anerkennend, habe sich erfolgreich gewehrt.
Hoher Einrichtungsstandard
„Auf gute Kontakte im Ort lege man selbstverständlich viel Wert“, sagt Olav Muhl, stellvertretender Fachbereichsleiter. „Bereits die Vorstellung des Projekts im Ortsbeirat verlief sehr positiv in Bezug auf die Unterstützung und die Offenheit für das Vorhaben.“ Er freue sich sehr über die positive Resonanz und das große Interesse der Besucher. Viele nutzten das Angebot, bei Hausführungen die Räumlichkeiten kennenzulernen, darunter das großzügige Gemeinschaftszimmer mit offener Küche, die vom Vorbesitzer komplett übernommen werden konnte. „Die Holzzentralheizung ist zum Beispiel Teil des pädagogischen Projektes“, berichtet Regionalleiter Jakob Loeb. Der Weg zu den Wohnräumen auf beiden Etagen führt über eine alte hölzerne Schultreppe, auf der bereits Generationen an Schulkindern durch dieses Gebäude gegangen sind. Zu diesen gehörte auch ein älterer Herr aus dem Dorf, der in den fünfziger Jahren hier zur Schule ging. Er übergab bei der letzten Hausführung eine noch nicht benutzte Tischtennisplatte an Teamleiter Pascal Mainka, der allein an diesem Nachmittag 10 (!) Besuchergruppen durch das Haus geführt hatte.
Jede Menge Arbeit war vonnöten, um vom Boden bis zum Keller alle baulichen Sicherheitsbestimmungen zu erfüllen. „Das alles ist mehr als schön geworden“, konstatiert ein Besucher mit sichtlicher Bewunderung. Auch Karina Wächter, Landtagsabgeordnete der CDU Rheinland-Pfalz, ist von dem Angebot rundum begeistert. Ihr gefalle neben den schönen Räumlichkeiten besonders der proaktive Ansatz, dass die Jugendlichen die Chance haben zu lernen, ihr Leben zu organisieren und sich in die Gesellschaft zu integrieren.
Eine „Außenstelle von Zuhause“
Die Kids machen an diesem Tag ihren „Job“ ganz hervorragend. Sie bewirten die Gäste aufmerksam und legen großen Wert darauf, dass die Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Ihre neue Unterkunft finden sie einhellig Klasse, wie Jakob Loeb aus dem regelmäßig stattfindenden Kids-Team berichtete. Einige haben schon neue Freunde gefunden. Auch die Eltern, die ihre Kinder jederzeit nach Anmeldung besuchen können, äußern sich anerkennend. Verena Kolletzki berichtet von einer Mutter, die das Zimmer ihres Sohnes als „Außenstelle von Zuhause“ bezeichnete. Das sei, so die Fachexpertin, doch eine schöne Umschreibung für dieses besondere Projekt.
von Heide Künanz