"Wir haben jetzt unsere Öffnungszeiten auf drei Tage reduziert, da es aufgrund der aktuellen Corona-Maßnahmen nur möglich ist, Klienten auf der Wiese zu treffen. Wir versuchen mit den Jugendlichen eher Einzelgespräche zu führen. Der Zulauf ist in den letzten Monaten enorm angestiegen. Im Moment kommen täglich etwa 25 Jugendliche zum Wohnmobil und bitten um Hilfe. So viele waren es noch nie.
Gerade das Thema Kommunikation ist unseren Jugendlichen sehr wichtig und einige äußern, dass ihnen das Gespräch sehr fehlt. Sowohl in der Gruppe untereinander als auch mit uns. Für einige sind wir ein Ort der Sozialkontakte, der in den ersten 14 Tagen des Lockdowns weggebrochen war und nur langsam wieder aufgenommen werden konnte. Der Zugang zu medizinischer und psychologischer Unterstützung gestaltet sich schwerer als vorher schon. Kliniken hatten Aufnahme-Stopp oder waren überlaufen. In den ersten acht Wochen gab es keine Notfalltermine bei Therapeuten über die Kassenärztliche Vereinigung, die diese normalerweise zuweist. Nach wie vor kommt es bei Therapeuten zu langen Wartezeiten.
Auf Grund der Corona-Maßnahmen ist es bis heute, Ende Oktober 2020, nicht möglich, zu den Öffnungszeiten von Behörden persönlich vorzusprechen, wie beim Jugendamt, beim Gesundheitsamt und beim Jobcenter. Die Klärung der Zuständigkeit gestaltet sich dadurch langwieriger und erschwert den Zugang zur Hilfe. Wo es geklappt hat, sind gute Kooperationen entstanden.
In den ersten acht Wochen der Pandemie waren vor allem die technischen Probleme in der Erreichbarkeit von Mitarbeiter*innen der Stadt - viele waren im Homeoffice - ein Hindernis, Fälle zu besprechen. Inzwischen hat sich diese Situation verbessert. Nun gibt es auch wieder einen Notfallschalter.
Das Jobcenter hat nun einen verkürzten Coronaantrag entwickelt. Dies erleichtert mit unserer Unterstützung den Zugang ins SGB II sofern Internet und ein Scanner und alle Unterlagen vorhanden sind.
Wohnbaugesellschaften hatten anfangs geschlossen. Es herrscht nach wie vor Wohnraummangel und es gibt nur sehr wenige Angebote, die auch schnell weg sind. Hier etwas zu ergattern gleicht einem Sechser im Lotto.
Jugendliche, die neu zu uns kommen, schildern, dass sich ihre Situation durch die Zeit in Isolation zu Hause zugespitzt hat, dass es zu Hause eskaliert ist und sie ihr Umfeld verlassen haben. Hier hat die Angst vor dem Virus in Kombination mit Existenzängsten die Situation noch verschärft. In einigen Fällen hat der fehlende Zugang ins Hilfesystem zu Mietschulden und Wohnraumverlust geführt.
Für einen Zugang in Wohnungslosenunterkünften ist ein negativer Coronatest verpflichtend. Das bedeutet, dass eine kurzfristige Unterbringung am Abend für Betroffene schwierig ist, weil die Testung tagsüber erfolgen muss.
Wir haben ein Gutscheinsystem entwickelt, um die Versorgung weiterhin zu gewährleisten. Vorher waren wir zusammen einkaufen, das war dann aufgrund der Hygienekonzepte nicht mehr möglich. Günstige Lebensmittel waren oft schnell ausverkauft. Das hat gerade die betroffen, die wenig Geld haben.
Netterweise haben wir Masken genäht bekommen und diese verteilt, als die Maskenpflicht kam. Die Winterregelung in Wiesbaden ist ausgesetzt, das bedeutet, dass jeder einen Platz in einer Unterkunft bekommt auch Menschen ohne Kostendeckung und Leistungsanspruch. Hier wird nicht zwischen jungen Erwachseneren und chronifizierten Wohnungslosen unterschieden. Unverändert wird von unseren Jugendlichen das Männerwohnheim nicht angenommen. Das Frauenwohnheim eher. Duschen in Badeanstalten wurde bei uns nicht mehr angefragt. Anfangs waren alle Badeanstalten geschlossen, danach mussten Plätze online reserviert werden.
Es gibt also positive und negative Seiten der Pandemie. Wir haben viel improvisiert und suchen jetzt nach Lösungen für den Winter, wenn es zu kalt wird, den Betrieb auf die Wiese auszulagern. Das Wohnmobil können wir aufgrund der Abstandsregelung nicht nutzen. Dies wird sicher eine Herausforderung, die wir meistern werden.
Alles in allem rücken wir näher zusammen und alle ziehen an einem Strang, was ein gutes Gefühl ist. Für die, die wirklich keine Unterkunft, auch nicht bei Freunden haben, ist es gerade nicht so leicht."
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