Im Frühjahr ist in der Gärtnerei viel los. Ganz besonders seitdem die selbstgezogenen heimischen Wildstauden und essbaren Wildkräuter im Angebot sind. Das spannende, zukunftsweisende Projekt, das von Marketing-Leiter Christoph Schuch mit seinem Team vor etwa einem Jahr ins Leben gerufen wurde, hat kräftig Fahrt aufgenommen.
Inzwischen wurde eine Bio-Linie entwickelt. Darin fließt das Expertenwissen von Irmela Harz mit ein, die seit neun Monaten mit einer halben Stelle in der Schlocker-Gärtnerei tätig ist. Die an der Universität in Gießen promovierte Agrarwissenschaftlerin mit jahrzehntelanger Erfahrung in ökologischen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit in Südamerika und Asien, ist ausgewiesene Wildpflanzenspezialistin. Bei einer Veranstaltung kam sie im Sommer mit Schuch über das Schlocker-Projekt ins Gespräch. „Ich war sofort begeistert“, sagt die sympathische 59-Jährige mit binationaler Familie. Verheiratet mit einem Unternehmer aus Bhutan, lebt sie seit einiger Zeit mit ihren beiden Söhnen, „der Ausbildung wegen“, wieder in Deutschland. Genauer gesagt: in Hattersheim, „nur ein paar Minuten mit dem Rad vom Schlocker-Gelände entfernt“. Mit der bereits seit längerem als Pflanzenbotschafterin aktiven Landschaftsplanerin und Gartenarchitektin Iris Sparwasser ist damit Kompetenz in der Abteilung gebündelt, die zusammen mit dem langjährigen Mitarbeiter- und Fachpersonal viel Energie ins Projekt bringt.
Alles braucht seine Zeit
Und das sieht man bei einem Besuch an einem der letzten kalten Apriltage. Gut geschützt in einem neuen, großen Tunnel-Folienzelt gedeihen - teils kräftig wie der Borretsch, teils noch zart wie der gebleichte Löwenzahn – leckere Wildkräuter. Eine kleine Entdeckung an diesem Tag begeistert nicht nur Irmela Harz: „Der Blutwurz keimt!“ Ruhig erläutert sie den Mitarbeiterinnen, dass die Keimlinge gut feucht gehalten werden müssen, damit die winzigen Blättchen, die sich hier und da zeigen, wachsen können. Alles wohlgemerkt in selbst kompostierter Bio-Erde. Um die Bio-Linie in Gang zu bringen, wurde anfänglich auch Pferdemist aus einem benachbarten Hofgut gebraucht. Inzwischen greift Irmela Harz auf ein torffreies Substrat zurück, denn „Torf ist nicht nachhaltig abbaubar“. Das unter dem Namen Terra Preta bekannte uralte Kompostierverfahren stammt aus Südamerika. Es sind nicht nur ihre langjährigen Berufserfahrungen, die sie hier nutzen kann. „Integration ist für mich ein Lebensthema.“ Daher ist inklusives Arbeiten für sie Teil eines großen Ganzen.
Jeder bringt sich mit ein
„Die Arbeitsbedingungen in der Schlocker-Stiftung sind sagenhaft gut“, freut sich die Wildpflanzenexpertin. Damit meint sie sowohl das neue Tunnelzelt, das Gewächshaus als auch das Fachpersonal und motivierte Mitarbeiter. „Wir sind schon eine bunte Truppe“, sagt sie schmunzelnd voller Anerkennung für die Leistung und Kompetenz, die hier vor Ort ist. Begeistert stellt sie Ibrahim Hapizovic vor, der als FSJ-ler mehr als einen guten Job macht. „Er ist einfach Spitze, arbeitet selbstständig, vorausschauend und mit großer Sorgfalt.“ Und Nadine Beyer. Die Mitarbeiterin mit einer Lernbehinderung erläutert präzise, warum sie die Koriander-Stecklinge umpflanzt: „Das Wichtigste sind die Hauptwurzeln und der Wurzelhals. Für die Wasseraufnahme. Wenn aber die kleinen Haarwurzeln hinausragen, braucht die Pflanze einen großen Topf.“ Hier hat die 22-jährige mit dem grünen Daumen auch neue Qualifikationen erworben.
Netzwerken für die Vielfalt
Die Vielfalt unter den „Wilden“ ist riesengroß. Um den Kunden die Orientierung zu erleichtern, wurde das Sortiment in drei Kategorien unterteilt: Wild & Schön, Wild & Nützlich, Wild & Lecker. Zudem gibt es einen ansprechenden Pflanzen-Katalog sowie zahlreiche Veranstaltungen. „Unser Ziel ist es, etwa 100 Arten Wildstauden anzubieten“, sagt Schuch. Er hat im letzten Sommer ein zweiwöchiges Betriebspraktikum in einem Schweizer Pionierbetrieb für Wildstauden absolviert. Dort gab es über 600 Arten. „In Luzern haben sie aber auch 30 Jahre Erfahrung mit Wildstauden, wir bauen jetzt erst einmal eine Abteilung komplett neu auf“, so der Projektleiter. Dabei hat er nicht nur Privatkunden im Blick. Er netzwerkt mit Ansprechpartnern aus Städten und Verbänden im Rhein-Main-Gebiet, die sich für nachhaltige Pflanzkonzepte im urbanen Raum stark machen wollen.
Aber auch bei EVIM sieht Schuch viel Potenzial für Kooperationen. In Planung ist ein kleines Wildpflanzen-Bauerngarten-Beet für Senioren mit EVIM Westerwald. Doch wie alles im Leben braucht das Zeit. „Wildpflanzen und Biokräuter kann man nicht mal schnell programmieren. Wir müssen den Rhythmus der Natur akzeptieren. Und man muss alle im Team mitnehmen“, ist Christoph Schuch überzeugt. „Dass wir uns mit der Aufzucht bedrohter Wildpflanzen aktiv für den Erhalt der Schöpfung in Ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit einsetzen, sollten wir noch deutlicher kommunizieren.“ Mit der Bio-Linie werden zudem Menschen mit Beeinträchtigungen weiter qualifiziert und so langfristig Arbeitsplätze gesichert. Wie die von Nadine Beyer und ihrem Kollegen Marco Messinger, die selbstbewusst und mit Stolz sagen, dass sie ihre Aufgaben gut machen.
Foto (EVIM): Irmela Harz ist Wildpflanzenexpertin und setzt sich mit ihrem Team für die Bio-Kräutervielfalt ein.