Marga Schnell (81) hat schon lange vor Beginn der Vorstellung Platz auf der Gartenbank genommen. Mit ihren Mitbewohnerinnen verfolgt sie gespannt den Aufbau der Manege, das Drapieren der roten Samtvorhänge an den gelb-roten Stellwänden mit dem Sternendekor. Rechts von ihr ist der Zuckerwattestand aufgebaut. Die Seniorinnen auf der Gartenbank versorgen sich schon mal mit Popcorn-Tüten, die das rührige Team vom Haus vorbereitet hat. Der Zirkus Frankordi ist nicht nur mit „Sack und Pack“ angereist, sondern hat auch einen ganzen Streichelzoo mitgebracht: Zwerghühner, Meerschweinchen, Hasen und Laufenten, zwei allerliebste Hängebauchschweine, drei Lamas und zwei Zwergponys waren zum Gaudi der Bewohner und des Teams in das Gartengelände ‚eingezogen‘. Dort hatte der Hausmeister bereits kleine Gehege aufgebaut und das Gras extra nicht gemäht, damit sich die Tiere wohlfühlen können. Für Futter sorgten aber auch die Bewohner, die den vierbeinigen Hausgästen einen Besuch abstatteten. Hochbetagte Menschen im Rollstuhl juchzten vor Freude, als die Lamas ihnen die Leckerlis aus den Futtertüten naschten. Ihre Augen strahlten, als sie das wenige Tage alte Meerschweinchen erblickten und schauten belustigt den Hängebauchschweinen zu, die all das Gewusel um sie herum nicht von ein Päuschen abhielt.
Auf die Idee, den Zirkus ins Haus zu holen, ist Einrichtungsleiterin Tanja Salder gekommen. Sie nahm Kontakt zu dem Familienunternehmen auf, das sich auf Zirkus-Shows in Pflege- und Betreuungseinrichtungen spezialisiert hat. „Unser Programm ist auf die Bedürfnisse der betagten Bewohner oder Menschen mit Handicap zugeschnitten und beinhaltet klassische Zirkusdisziplinen“, sagt Ricardo Frank. Mit seiner Frau Jenny und ihren Nachwuchsartisten Jason, Naomi und Joel bieten sie ein kurzweiliges Programm aus Akrobatik, Clownerie und Jonglage. Dabei wuppen sie alles allein – vom Transport, über den Aufbau, das Programm und die Versorgung mit der beliebten Zuckerwatte. All das kommt bei den Gästen wunderbar an, die vielfach Applaus spenden. Glücklich ist auch Marga Schnell, die seit März diesen Jahres in der Einrichtung lebt. Nach einer ernsten Erkrankung konnte sie nicht mehr in ihr Zuhause zurück und bezog hier ein Zimmer im Dachgeschoss. „Eine schwere Entscheidung“, sagte die geistig fitte Frau, die aktiv im Leben stand. Beruflich als Kaufmännische Angestellte bei der Telekom, als Betriebsrätin, in der Sozialarbeit und später im Ruhestand als Ehrenamtliche im stationären und ambulanten Hospizdienst. „Ich habe diese Arbeit geliebt“, berichtet sie mit Wehmut. Marga Schnell hat auch ein großes Herz für Tiere, ganz besonders für ihren Kater Winnipoo. Als sie hörte, dass ihr Liebling mit einziehen darf, war es für sie das größte Glück: „Ich kenne kein Haus, was Tiere so aufnimmt wie hier.“ Denn außer ihrem Winnipoo haben noch zwei weitere Katzen und einige Meerschweinchen gemeinsam mit ihren Herrchen und Frauchen ihr neues Zuhause im Jan-Niemöller-Haus bezogen.
„Wir machen das Leben unserer Bewohner bunt“ ist das fast schon legendäre Motto hier im Haus an der Schiersteiner Riviera. Er steht auf den lustigen T-Shirts, die das Team bei Veranstaltungen trägt. Und das Bewohnerin Marga Schnell stolz in ihrem Zimmer präsentiert. Mit immer neuen kreativen Ideen und einem großartigen Engagement leben die Mitarbeitenden diesen Anspruch, damit sich die Bewohner hier wohlfühlen können. Chefin Tanja Salder verrät an diesem Tag schon mal, was am 3. September zum Freiwilligentag in Wiesbaden geplant ist: Eine Sechziger-Jahre-Party im ganzen Haus – natürlich auch wieder mit allem Drum und Dran.
Nach dem begeisternden Schlussapplaus für die großen und kleinen Zirkusartisten ziehen sich die meisten Senioren wieder ins Haus zurück. Etwas müde, aber glücklich über diesen wunderbaren Tag und bei dem einen oder anderen sicher mit schönen Erinnerungen an die Zirkuserlebnisse vor langer Zeit. (hk)